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  • Christian Knoche

Work Wars II - Alltag im Todesstern

Die Spende

Als der Produktverantwortliche nach den Osterfeiertagen in sein Büro zurückkehrte, wenig erpicht auf die liegengebliebene Arbeit und wie immer an den ersten warmen Frühlingstagen ein wenig antriebslos, wurde er, wie er sich am Vormittag so durch die Post arbeitete, von der Betriebsratsentsandten in seiner Konzentration gestört. Sie hielt einen braunen Umschlag in der Hand und sagte, sie würde sammeln, für die Kollegin X, ob er sie denn nicht gekannt habe. Nein, er kenne sie nicht, antwortete er unwirsch und widmete sich wieder der Post, im weniger der Arbeit zugewandten hinteren Teil seines Verstandes noch ein wenig verwundert über die Formulierung gekannt habe. Die Betriebsratsentsandte entfernte sich wortlos. Sie war ihm, wie das bei politisch tätigen Personen wohl oft sein mag, nur kurz vor den anstehenden Betriebsratswahlen in Erscheinung getreten und ansonsten eher unsichtbar. Er respektierte ihre Tätigkeit, hatte aber als außertariflich Angestellter keinerlei Nutzen von der Existenz dieser gewählten Interessenvertretung, und er mochte auch die dauernden Sammelaktionen nicht. Bei jedem noch so nichtigen Anlass wurde man behelligt, dieser oder jener hatte Geburtstag, sich erfolgreich fortgepflanzt, war seit nunmehr zwanzig Jahren in der Firma oder verließ diese in den, wie man nie umhinkam hinzuzufügen, wohlverdienten Ruhestand. Er gab, wenn er die betreffende Person kannte, ohne große Worte fünf Euro, kritzelte mürrisch und unleserlich seinen Namen auf die unvermeidliche und grauenerregend geschmacklose Karte und widmete sich dann umgehend wieder anderen Dingen.

Als er am späteren Nachmittag, teils zur Zerstreuung von der eintönigen Tätigkeit, teils um sich ein wenig die Beine zu vertreten, einen Kollegen im Büro den Gang hinunter besuchte mit dem er gemeinhin auch über Privates zu parlieren pflegte, fragte ihn dieser, ob er denn das von der Kollegin X schon gehört hätte. Er verneinte, sagte, er habe sie nicht gekannt und auch nichts gehört. Was denn wohl vorgefallen sei? Der Kollege erklärte, er habe sie sicher gekannt, es sei die Dame vom Empfang, die mit den schwarzen Haaren und der Brille, die immer etwas burschikos aufgetreten sei. Sie habe sich am Ostersonntag beim Spaziergang im Felde mit der Hundeleine erhängt.

„Tragisch“, brummte er , „Wahrscheinlich Depressionen oder?“

„Vermutlich“, antwortete der Kollege. Niemand habe etwas geahnt.

Der Produktverantwortliche bekam ein schlechtes Gewissen. Natürlich hatte er die Kollegin X gekannt, sie hatte ihm oft die Wagen reserviert, die er für seine gelegentlichen Reisen benötigte. Er kannte die Damen dort nur unter der im internen Telefonbuch hinterlegten Bezeichnung Pforte/Empfang. Die Firma hatte die Tätigkeit in den Vordergrund gestellt, die Damen entindividualisiert, und einer schlechten Angewohnheit folgend hatte sich nicht die Mühe gemacht, diese wieder zu re-individualisieren.

Zurück im Büro telefonierte er nach der Betriebsratsverantwortlichen. Er erreichte sie erst am nächsten Tage und entschuldigte sich für sein schroffes Benehmen gestern, der Stress, sie wisse schon, und natürlich habe er die Kollegin X gekannt, das Ganze sei ihm furchtbar peinlich und er würde gern etwas dazugeben. Wo er sie denn finden könne, das Betriebsratsbüro sei ja abgerissen und wo sich jetzt der Ausweichsitz befände sei ihm unbekannt, aber wenn sie so freundlich wäre, es ihm mitzuteilen, würde er sich gern umgehend dorthin begeben. Die Betriebsratsentsandte antwortete, sie sei just in diesem Moment zufälligerweise in genau jenem Gebäude in dem sich auch das Büro des Herrn Produktverantwortlichen befände, nämlich im Hinterzimmer des Büros des Herrn B., und er würde sie wohl innerhalb der nächsten Viertelstunde auch sicher noch dort antreffen, da sie, wie sie hustend betonte, sich gerade eine Zigarette angezündet habe und gedenke zum ihrem Kaffee direkt danach noch eine zweite zu rauchen.

Die Betriebsratsentsandte mochte sich zwar im selben Gebäude aufhalten, doch gab es wegen der verworrenen Bauart der beinahe hundert Jahren alten Produktionsgebäude, in die man seit nunmehr zwanzig Jahren nur vorübergehend Büroräume eingelassen hatte, keine Möglichkeit die Strecke innerhalb des Bauwerkes zurückzulegen.

Da dem Produktverantwortlichen umständliches Hantieren mit Bekleidungsgegenständen zuwider war, machte sich an dem kühlen, nachösterlichen Apriltag ohne Jacke auf den Weg. Kalte, kleine Regentropfen fielen sanft auf sein Hemd und verwandelten sich in große und kalte Flecken die das Hemd unter sich durchsichtig werden ließen. Er senkte den Kopf und lief zügig, wobei er beinahe mit einem Mitarbeiter in blauer Regenjacke zusammengestoßen wäre. Der Mitarbeiter hatte an einem Besenstiel mit Klebeband eine Art Messer befestigt und war damit beschäftigt, im kühlen Frühlingsregen das erste frisch aufkeimende Moos aus den Spalten zischen den Pflastersteinen zu entfernen. Er grüßte freundlich und bekam eine Gänsehaut von dem kratzenden Geräusch des Messers auf dem rauen Beton. Fröstelnd betrat er auf der anderen Seite das Gebäude im Untergeschoss und suchte, den selbst für diesen Landstrich unüblich ausladenden Dialekt der Betriebsratsentsandten berücksichtigend, die Schilder vor den Bürotüren nach dem Namen B. ab, konnte ihn aber nirgends finden. Der Gang war dunkel, lang, und dunstig vom Zigarettenrauch. Er fragte einen entgegenkommenden, ihm unbekannten Kollegen nach dem besagten Büro. Er stünde davor, antwortete dieser knapp und ging weiter. besah sich das Schild genauer.

B. – Qualitätsbeauftragter, stand dort in dicken Lettern.

Er trat ein und fand wirklich im Hinterzimmer die Betriebsratsentsandte vor, die ihn bereits erwartet hatte und nun durch eine Wolke Tabakdunst freundlich begrüßte. Ob denn die Kollegin X Familie hatte, erkundigte er sich. Einen Mann und eine fünfzehnjährige Tochter, entgegnete sie.

„Tragisch“, brummte er , „Wahrscheinlich Depressionen oder?“

„Vermutlich“, antwortete sie. Niemand habe etwas geahnt.

„Ich kenne das“, sagte er.

Er gab ihr fünfizig Euro, kritzelte unleserlich seinen Namen auf die ihm augenblicklich dargebotene Karte und entfernte sich wortlos. Die Betriebsratsentsandte und ihre ebenfalls rauchende Begleitung schauten ihm mit großen Augen nach.

Auf dem Weg zurück durch den Regen fragte er sich, wieviel wohl der Schmerz der Tochter dadurch geringer werden würde. Er kam zu keinem messbaren Ergebnis, hatte aber ein weniger schlechtes Gewissen wegen seiner unwirschen Art am Tage zuvor, und weil er sich nie die Mühe gemacht hatte, sich den Namen der Kollegin X zu merken. Jedoch ein sehr viel schlechteres Gewissen hatte er seinem eigenen Sohne gegenüber, dem er mit dem Geld wohl auch eine Freude hätte machen können. Er beschloss für sich, dass sein Sohn wohl besser daran hätte, wenn sein Vater sich eben nicht mittels einer Hundeleine im Felde aus dem Leben verabschiedete, als an irgendwelchen Gegenständen im Gegenwert des gespendeten Betrages. Trotzdem erschien ihm sein Tun sinnlos. Als er kaum wieder an seinem Platz angekommen war klingelte sein Telefon. Die Betriebsratsentsandte fragte, ob es ihm wohl bewußt sei, dass er ihr gerade fünfzig Euro gegeben habe, und ob dies denn ein Versehen oder seine Absicht gewesen sei.

„Ja,“ sagte der Produktverantwortliche, „Ja, das war Absicht.“

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