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  • Christian Knoche

Es geht so nicht weiter...

Aktualisiert: 10. Aug. 2021

Inspiriert von einem Auszug aus einem Theaterstück von Sören Heim.


„Marie?“

„Ja?“

„Bist Du soweit?“

„Ja, ich komme schon!“

Marie setzt sich neben Björn ins Gras. Sie schauen in die Weite.

„Okay?“, fragt Björn und schaut sie an.

Sie nickt.

„Wie still das Meer heute liegt“, sagt Björn.

„Ja… Als hätte es das Gewitter von letzter Nacht nie gegeben.“

„Faszinierend, so ein Meer.“

„Ja… Was meinst Du?“

„Eine einzige Oberfläche… Blau. Aber darunter… Fische, Riffe… Quallen… ähm… Ach Mist!“

„…Wie Geister!“, sagte Marie und lacht.

„Genau. Danke. Wie Geister. Also“, sagte Björn und räuspert sich, „Aber darunter… Fische, Riffe… Quallen, wie Geister…“

„Du…?“

„…Haie, Wale. Die schwarze Tiefe.“

Marie schaut ihn an.

„Das war schon wieder falsch, oder?“, fragt Björn und lacht.

„Ja, aber wenigstens hast Du es zu Ende gebracht. Ohne zu stocken, meine ich.“

„Sag mal, Marie… Warum machen wir das eigentlich?“

„Was denn?“

„Na das mit dem Theater. Ich mochte Theater noch nie. Schon als Kind nicht, wenn wir mit der Schule da hin sind. Das war wimmer so unfassbar bescheuert. Das Schauspiel, es wirkte so affektiert auf mich. So spricht doch kein Mensch! Und dann dieser Mitmach-Müll!“

„Was meinst Du?“, will Marie wissen.

„Ach, da waren wir mal mit der Klasse, vielleicht fünfte oder sechste. Ich weiß nicht mehr, wie das hieß. Auf jeden Fall spielte es unter Wasser, und es kam jemand Namens Quallisto darin vor. Eine Qualle. Und es mussten immer erst alle Kinder ein paar Mal rufen, bis der auf die Bühne kam. Ich habe nie mitgerufen. Das war mir zu bescheuert. Und die anderen neben mir haben immer Ballisto gerufen. Wie der…“

„Jaja, ich weiß schon. Wie der Schokoriegel“, sagt Marie.

„Ja genau. Und dann, etwas später, waren wir in irgend so einem Nachkriegststück. Von wem war das noch gleich? Draußen vor der Tür hieß das.“

„Borchert“, sagt Marie, „Wolfang Borchert.“

„Genau. Was soll so ein Mist bloß? Wir waren da dreizehn oder vierzehn, und es war Granatenwetter draußen. Und wir mussten da drinnen sitzen und einem Typen zuschauen, wie er mit so einer furchtbaren Gasmaskenbrille durch dunkle Straßen irrt. Mich hat sowas immer tagelang runtergezogen. Ich hatte keinen Krieg hinter mir, ich hatte das Leben vor mir, und die Mädchen im Kopf.“

„Soso“, lacht Marie und pufft ihn in die Rippen, „Hattest Du das?“

„Ach hört doch auf“, sagt er, „Das war doch bei den Mädels auch nicht anders.“

„War das so?“, sagt Marie leise.

„Ist doch auch egal. Jedenfalls, dieser ganze Mist da. Genauso Goethe. Heute, da lese ich Faust ganz gern. Und schaue auch die Stücke, das gibts auf Youtube. Mit Gustav Gründgens als Mephisto – das ist genial! Da steckt in jedem Satz so viel Wahrheit und Weisheit wie in sonst so manchem Buch nicht. Aber das ist heute! Wo ich näher an der fünfzig bin als an der vierzig. Jedenfalls, mit sowas bombardiert man doch keine Teenager!“

„Sag mal, Björn…?“

„Und dann habe ich da neulich noch so ein Theaterstück gesehen. Auch auf Youtube. Der Typ ist mittlerweile ein recht bekannter Fernsehschauspieler, hab schon wieder vergessen, wie der heißt. Aber in dem Theaterstück hat der sich live vor Publikum auf der Bühne irgendwelches Gemüse in den Ar…“

„Björn!“

„Wenn es doch stimmt! Was hat denn sowas noch mit Kunst zu tun?“

„Was weiß denn ich“, sagt Marie, „Aber ich wollte eigentlich…“

„Und wie muss ich mir da die Regieanweisung vorstellen? Springt da so ein affektierter Typ mit Bunter Urban-Priol-Frisur umher und schreit die ganz Zeit hysterisch: ‚Komm schon, schieb es Dir rein! Schieb es rein für die Kunst!‘“

„BJÖRN! Ich will das nicht hören! Ist ja ekelhaft.“

„Ja genau. UND staatlich gefördert. Am Staatstheater, zur besten Zeit. Ist doch alles nicht mehr normal.“

„Ja, mag ja sein. Aber das ist doch nicht alles so. Ich war zum Beispiel in einem Stück sogar zwei mal, einmal mit Susanne und einmal mit Frank.“

„Mit Frank?“

„Ja. Hab ich Dir auch erzählt. Terror heißt, das waren super gute Schauspieler. Da geht es darum, dass ein Bundeswehrpilot eine entführte Passagiermaschine abgeschossen hat und jetzt deswegen vor Gericht steht. Und das Publikum darf abstimmen, welches Urteil gefällt werden soll.

„Ach Gott, ja“, sagt Björn, „Davon habe ich gelesen. Baldur von Schirach…“

„Ferdinand“, unterbricht Marie.

„Ich weiß. Das sollte ein Scherz sein.“

„Nicht witzig. Was kann der für seinen Großvater?“

„Nichts.“

„Siehst Du.“

Sie schauen über die Täler bis hinunter zum Rhein, der in der Mittagssonne so glatt daliegt, als gäbe es keinerlei Bewegung. Das Niedrigwasser sorgt dafür, dass kein Wasserfahrzeug unterwegs ist.

„Weißt Du, was ich nicht verstehe?“, fragt Björn, dann, ohne eine Antwort abzuwarten, „Diese ganzen Gerichtssachen. Als würden Anwälte nicht schon genug Unheil anrichten in der Welt, jetzt schreiben sie auch noch andauernd Bücher oder Theaterstücke. Man ist nirgends mehr sicher vor Anwälten. Dann schon lieber der Typ mit den Karotten im Hintern, das sage ich Dir!“

„Du hast das Stück doch gar nicht gesehen!“

„Muss ich auch nicht. Mir reicht schon der Name.“

„Das ist auch so ein Ding mit Dir, Björn. Immer Deine Vorurteile. Und diese ganze geballte Negativität. Damit kann ich schwer umgehen.“

„Was hat denn das mit Negativität zu tun, wenn ich was gegen Anwälte habe?“

„Es geht doch darum, dass Du etwas kritisierst, ohne irgendwas Genaueres darüber zu wissen.“

„Nein. Es geht darum, dass das Publikum so unfassbar blöd ist. Immer das Selbe. Und unrealistisch verzerrt bis zur Unkenntlichkeit. Das ist wie Tatort. Immer und immer nochmal. Der Kommissar hat immer Alkoholprobleme, ist geschieden und von seiner Tochter entfremdet. Der Gerichtsmediziner kaut während der Obduktion ein Käsebrot, die Leiche war unfassbar grausam zugerichtet, man denkt bis zehn Minuten vor Schluss, der Mörder war wieder der Gärtner, nur um dann festzustellen, dass man in die Irre geführt wurde und es gar nicht der unsympathische Sack vom Anfang war.“

Marie sagt nichts und auch Björn schweigt für eine Weile.

„Kannst Du Dir vorstellen, dass hier überall mal Meer war?“, fragt sie schließlich, „Und hier, wo wir jetzt sitzen, eine tropische Insel mit Palmen?“

„Ja“, sagt Björn, „Kann ich. Kommt ja vielleicht auch bald wieder. Deswegen ja, ich weiß auch nicht, was die immer alle gegen den Klimawandel haben.“

„Als ich damals hergezogen bin, habe ich mich immer so eingeengt gefühlt zwischen diesen Bergen.“, sagt sie.

Das ging mir auch so. Mittlerweile mag ich es sehr. Das Mittelrheintal. Eigentlich hatten wir doch eine schöne Zeit, nicht?“

„Was?“

„Eine schöne Zeit“, wiederholt Björn, „Wir beide. Im Großen und Ganzen. Hier.“

„Ja“, sagte sie, „Hmm. Aber…“

„Wie diese verdammten Flugzeuge immer mehr werden in den letzten Jahren. Jetzt sind sie hier schon so tief, dass man lauter sprechen muss, wenn sie drüber kommen.“

„Hat sich was mit Stille im Weltkulturerbe.“

„So langsam müsste doch der Himmel bald voll sein.“

„Achwas“, sagt Marie, „Die bauen immer mehr und mehr. Und wenn das nicht reicht, gibt es eben noch eine neue Landebahn. Die Welt ist ziemlich verrückt geworden.“

„Ja… Was meinst Du?“

„Jetzt hör doch mal zu! Ich will doch schon die ganze Zeit was sagen.“

„Ich weiß“, sagt Björn und schaut auf den Boden, „Ich habe nur Angst davor, was es ist.“

„Es geht nicht mehr weiter so, Björn.“

„Ich weiß. Ich weiß es doch auch!“, sagt er und dreht den Kopf weg, damit sie seine Tränen nicht sieht.

„Was glaubst Du ist passiert, Björn?“

Er stiert ins Tal und schluckt, wischt sich über das Gesicht und schaut sie an.

„Kästner.“

„Was?“

„Kästner ist passiert. Sachliche Romanze. Kennst Du?“

Sie zuckt die Schultern.

„Erinnere mich nicht daran.“

Björn zieht sein Handy aus der Hosentasche und fummelt daran herum. Dann beginnt er zu lesen.

„Als sie einander acht Jahre kannten

(und man darf sagen: sie kannten sich gut),

kam ihre Liebe plötzlich abhanden.

Wie andern Leuten ein Stock oder Hut….“

„Ach da, ja“, unterbricht in Marie, „Natürlich, das kenne ich ich.“

„Na dann muss ich ja nicht weiterlesen.“

„Glaubst Du, das ist es, was passiert ist, Björn? Mit uns? Einfach so abhanden gekommen?“

Er denkt nach, schüttelt den Kopf.

„Nein. Nicht einfach so. Wir haben nicht gut genug darauf aufgepasst. Und jetzt ist es weg. Ist sie weg.“

„Meinst Du, wir finden sie wieder?“, fragt sie.

Er schweigt sehr lange.

„Willst Du denn?“, fragte er schließlich.

„Ja“, sagt sie, ohne nachzudenken.

„Dann müssen wir suchen. Aber gemeinsam. Und nicht im Theater.“

„Okay“, sagt sie, und lacht über ihre Tränen hinweg, „Okay.“

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